Kurzgeschichte: Sie

Hallo liebe Lesedetektive,

mich hat in den Ferien das Schreibfieber wieder gepackt, sodass ich euch hier gerne einmal die erste Version einer weiteren Kurzgeschichte zeigen möchte.


Wie immer freue ich mich sehr über Feedback! Viel Spaß beim Lesen :)

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Sie

Seit sie denken konnte, hatte sie auf dem großen Weizenfeld mit den vollen, goldenen Ähren direkt am Dorf gespielt. Sie alle hatten seit sie denken können dort gespielt. Sowie die Kinder laufen konnten, schickten ihre Eltern sie zum Spielen auf das große Feld. Sie liebte es, sich zwischen den langen Halmen zu verstecken und den Ährenstaub auf ihrer Haut zu spüren. Mit dem Laufe der Zeit war der Ährenstaub ein Teil der Dorfbewohner geworden. Die Älteren arbeiteten und die Kinder spielten den ganzen Tag über dort. Es war der Mittelpunkt ihres gesamten Daseins, ihre Lebensversicherung. Etwas, von dem sie alle abhängig waren. Sie mussten es beschäftigen, es beackern und es ehren. Sie alle liebten das goldene Weizenfeld.
Auch sie ging jeden Tag brav hinaus, um dort mit den anderen Kindern zu spielen und ehrfurchtsvoll auf die Älteren zu schauen, die schon die harte Arbeit verrichten durften. Sie waren schon vollständig ein Teil des Feldes; sie waren schon vollständig mit dem goldenen Ährenstaub bedeckt.
Es war ein friedvolles Miteinanderleben, das die Dorfbewohner mit dem goldenen Feld führten. Das Feld beschützte sie vor dem düsteren Wald und schenkte ihnen die Lebensgrundlage; die Dorfbewohner nutzten das Feld. Doch es gab eines, das die friedvolle Idylle störte. Etwas, das die Kinder sich in dunklen Ecken zuflüsterten und womit die Eltern ihren Kindern drohten, wenn sie einmal unartig gewesen waren. Etwas, das selbst den Ältesten zu dunkle Nächte bereitete und die Eltern um ihre Schützlinge bangen ließ. Denn wenn es eines gab, das ihnen nicht gestattet war, war es der finstere Wald am anderen Ende des Feldes. Jener finstere Wald, der bei Sonnenuntergang in solch verführerischen Farben schillerte und bereits einmal eines der Kinder verführt hatte. Denn wenn es eines gab, das das große Weizenfeld nicht mochte, war es Untreue. Ein Bündnis bestand und konnte sofort gelöst werden. Doch es war der Mittelpunkt ihres gesamten Daseins, ihre Lebensversicherung. Etwas, von dem sie alle abhängig waren. Also mussten sie es beschäftigen, es beackern und es ehren. Sie alle fürchteten das goldene Weizenfeld.
Auch an diesem Tag spielte sie wieder mit den anderen Kindern, sodass der Ährenstaub sich sanft auf ihr Haar legte und die Sonne ihre Haut golden schimmern ließ. Das weiche Strahlen des Feldes umfing sie alle und die Ähren flüsterten den Kindern längst vergessene Märchen zu. Sie sahen den Älteren bei der Arbeit zu und spielten Verstecken. Bei Sonnenuntergang jedoch hatten die anderen sie noch immer nicht gefunden. Denn sie hatte sich ganz am Rand des Feldes direkt am bösen Wald versteckt. Sie war schon immer die Mutigste im ganzen Dorf gewesen. Doch die Vorsicht der anderen hatte sich gelohnt.
Sie hatten noch nie die schillernde Farbenvielfalt des Waldes bei Sonnenuntergang gesehen, die sie nun vor sich hatte. Und sie hatten noch nie die verführerischen Gesänge der Zweige gehört, die sie nun lockten. Doch seit sie denken konnte, hatten ihre Eltern ihr eingeprägt, niemals das Feld zu verlassen. So verlockend der Wald auch aussehe, sein Kern sei böse und wolle sie nur verletzen. Das Feld sei sicher und würde sie beschützen. Doch als sie in diesem Moment vor dem bösen Wald stand, überlagerte seine Pracht sogar das grelle Strahlen des Feldes. Seine Melodien übertönten sogar das zischende Flüstern der Ähren um sie herum. Sie streckte die Hand in den Schatten des Waldes, der sofort ihre heiße Haut kühlte. Vollkommen fasziniert gab sie sich dem Wald hin.
Sofort legten sich die melodiösen Gesänge und schillernden Farben um sie. Die Welt war getaucht in ein Meer aus neuen Eindrücken. Staunend und ganz still, um den Wald nicht zu stören, schritt sie immer weiter in die kühle Endlosigkeit. Auf ihrem Weg  striffen bunte Blütenblätter ihre Knöchel und zarte Schmetterlinge setzten sich in ihr Haar. Dunkelheit liebkoste ihre Haut und die Blätter sangen von noch nicht entstandenen Welten.
Doch nach einiger Zeit wurde die Endlosigkeit zu tief. Sie drehte um und sah von weitem einen strahlenden Punkt in der Dunkelheit des Feldes. Sie rannte auf das Feld zu, doch auf ihrem Weg verhakten sich Dornenranken in ihren Knöcheln und schwarze Vögel rissen an ihren Haaren. Die Dunkelheit legte sich wie Eis auf ihre Haut und Tannennadeln jammerten von Tod und Verderben. Sie weinte und lief mit ausgestreckten Armen auf das schützende Leuchten des Feldes zu. Sie wollte zu ihren Eltern, den anderen Kindern und den Ältesten.
Am Feld angekommen war sie geblendet von dem Grell des Feldes. Die Sonne wärmte ihre Haut, doch schon bald brannte sie in den Wunden. Sie rannte los und die Ähren schnitten in ihre Arme.
Das ganze Dorf hatte bereits nach ihr gesucht, doch als ihre Eltern sie sahen, schrien sie verzweifelt auf. Sie schickten sie zurück in das Feld, dass der Ährenstaub ihre Wunden schließen möge, doch das Pulver brannte in den Schnitten und ließ sie anschwellen. Sie nahmen sie zurück in das Dorf und versuchten, die Verletzungen zu heilen. Doch das Bündnis bestand nicht länger, es war sofort gelöst worden. Sie hatten nicht länger einen Mittelpunkt in ihrem Dasein, eine Lebensversicherung. Ihr Zustand verschlimmerte sich und das gesamte Dorf litt.
Eines Abends aber, es war ein fantastischer Sonnenuntergang, gingen ihre Wunden erneut auf und der Wald war in ihr. Sie selbst erstrahlte in einer Farbenpracht und sang von Dingen, die noch geschehen mögen. Da erkannten die Dorfbewohner, dass der Wald sie schon immer hatte befreien wollen von dem bösen Feld. Schnell schickten sie ihre Kinder in den Wald und die Älteren pflegten die Pflanzen. Sie alle liebten den schillernden Wald.

Es war ein friedvolles Miteinanderleben, das die Dorfbewohner mit dem Wald führten. Der Wald beschützte sie vor dem bösen Feld und schenkte ihnen die Lebensgrundlage; die Dorfbewohner pflegten den Wald.  Doch es gab eines, das die friedvolle Idylle störte. Etwas, das die Kinder sich in dunklen Ecken zuflüsterten und womit die Eltern ihren Kindern drohten, wenn sie einmal unartig gewesen waren. Etwas, das selbst den Ältesten zu grelle Nächte bereitete und die Eltern um ihre Schützlinge bangen ließ. Denn wenn es eines gab, das ihnen nicht gestattet war, war es das grelle Feld am anderen Ende des Waldes. Denn wenn es eines gab, das der große Wald nicht mochte, war es Untreue. Ein Bündnis bestand und konnte sofort gelöst werden. Doch es war der Mittelpunkt ihres gesamten Daseins, ihre Lebensversicherung. Etwas, von dem sie alle abhängig waren. Also mussten sie ihn beschäftigen, ihn bepflanzen und ihn ehren. Sie alle fürchteten den schillernden Wald.

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